Beweist Genetik, dass das Buch Mormon kein historisches Buch ist?
Michael R. Ash
Aus dem Englischen
Is an Historical Book of Mormon Incompatible with DNA Science?
Einer der aktuellsten und wohl ausgeklügeltsten Angriffe gegen das Buch Mormon kommt von denen, die behaupten, genetische Untersuchungen würden beweisen, dass es vor Kolumbus niemals Israeliten im alten Amerika gegeben habe.
Humangenetik ist eine relativ neue Wissenschaft, aber sie hat sich schon in vielen Bereichen der Forschung als exaktes und wertvolles Werkzeug erwiesen. In der Kriminaltechnik und bei forensischen Untersuchungen wird wie aus der Serie CSI bekannt – in erster Linie Nuklear-DNS (nDNS) verwendet, ebenso wie bei der Identifizierung von Opfern der Anschläge vom 11. September. Für Bevölkerungsstudien hat sich Mitochondriale DNS (mtDNS – DNS, die ausschließlich über die mütterliche Linie vererbt wird) [oder das Y-Chromosom (wird nur vom Vater auf den Sohn vererbt) Anm. d. Übs.] als hilfreich erwiesen. Einige Kritiker behaupten nun, alle bisherigen mtDNS und Y-Chromosom-Studien würden zweifelsfrei beweisen, dass die gesamte Bevölkerung Amerikas vor Kolumbus von Asiaten abstammt, die über die Bering-Straße (eine Landbrücke, die vor vielen tausend Jahren Alaska und Sibirien verband) nach Amerika gekommen waren. Daher müsse die Geschichte der Nachkommen Lehis, wie sie das Buch Mormon schildert, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sein.
Es sei darauf hingewiesen, dass diejenigen, die solche Behauptungen aufstellen, selbst keinerlei DNS-Untersuchungen durchgeführt haben, auf die sie ihre Behauptungen stützen könnten. Stattdessen haben sie die Studien anderer verwendet, die ihrerseits niemals die Absicht hatten, mit ihren Forschungen die Authentizität des Buch Mormons zu beweisen oder zu widerlegen. Wenngleich es durchaus der Wahrheit entspricht, dass bisherige DNS-Studien die Bevölkerung Amerikas über die Bering Strasse bekräftigen, so sind diese Studien doch nicht dazu geeignet, die Erzählung des Buch Mormons zu widerlegen. In den folgenden Ausführungen werden die Gründe hierfür genannt.
Das Buch Mormon behandelt nicht alle Völker der altertümlichen Neuen Welt
Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Missverständnis behauptet das Buch Mormon nicht, ein Bericht aller Menschen zu seien, die die Neue Welt bewohnten. Seit mindestens siebzig Jahren propagieren Gelehrte, die Mitglieder der Kirche sind, die sogenannte Limited Geography Theory (LGT). Sie haben den Text des Buch Mormons genau untersucht und kamen dabei zu dem Schluss, dass das im Buch Mormon umschriebene Gebiet unmöglich sowohl Nord- als auch Südamerika umfassen könne. Vielmehr handele es sich um einen örtlich begrenzten Bereich, nicht einmal halb so groß wie Mexiko. Aufgrund der Hinweise im Text versuchten sie, eine Landkarte der im Buch Mormon aufgeführten Länder zu zeichnen und diese dann mit bekannten Gegebenheiten in Amerika zu vergleichen. Die meisten von ihnen nehmen an, dass Nephiten und Lamaniten in Mittelamerika lebten. Andere Hinweise im Buch Mormon lassen darauf schließen, dass die Nachkommen Lehis auch mit anderen Völkern Kontakt hatten, die schon vor ihnen in diesem Teil der Welt gelebt hatten.
Wie sah israelitische DNS zur Zeit Lehis aus?
Um beurteilen zu können, ob bei den DNS-Proben, die wir heutigen Indianern entnommen haben, israelitische DNS aus der Zeit Lehis gefunden wurde oder nicht, müssten wir jene israelitische DNS erkennen. Hierbei zeigen sich zumindest zwei Probleme.
Unsere Kritiker gehen von der Annahme aus, dass man aus der DNS heutiger Juden auf die DNS von Israeliten aus dem 6. Jahrhundert vor Christus schließen könne. Sie nehmen demzufolge an, dass die Juden eine Rasse seien, die seit alters genetisch homogen geblieben ist. In Wahrheit ist jedoch „Israelit” (wie Jude, Mormone oder Amerikaner) mehr eine kulturelle als eine genetische Definition. Mit Ausnahme einiger extremer Beispiele spiegelt die DNS heutiger Juden nicht notwendigerweise die DNS der Israeliten aus dem Altertum wider.
Überdies besaßen die Israeliten schon im Altertum keinen einheitlichen kulturellen Hintergrund (es gab sehr viele verschiedene mtDNS- Marker, die sie von ihren Müttern geerbt hatten). Zur Zeit von Jesu Geburt waren die Juden genetisch gesehen eine bunt gemischte Gruppe, die sich mit Kanaanitern, Babyloniern, Persern, Griechen und Römern verheiratet hatten, nachdem diese Außenseiter Juda erobert hatten. Das gilt auch heute noch.
DNS-Marker können verschwinden
Die meisten HLT Gelehrten gehen davon aus, dass die Lehiten und Mulekiten eine kleine Gruppe waren, die sich in eine größere Bevölkerung einfügte. Diese größere Bevölkerungsgruppe stammte wahrscheinlich aus Asien. Wenn eine kleine Population sich mit einer größeren Population vermischt, besteht ein signifikantes Risiko, die DNS-Signaturen der kleineren Bevölkerung zu verlieren. Diese Marker können aus einem der folgenden Gründe verschwinden.
Genetischer Flaschenhals. Ein solcher tritt ein, wenn eine signifikante Gruppe der Bevölkerung keine Kinder hat oder zumindest die mtDNS nicht weitergibt (die ja nur von der Mutter auf deren Kinder übergeht. Dasselbe Prinzip gilt für das Y-Chromosom, nur auf der väterlichen Schiene? Original?). Wenn z. B. nur wenige lehitische Frauen unter den Völkern des Buch Mormons geboren worden wären, hätte die Nephiten eingeborene Frauen geheiratet, und deren mtDNS (nicht Sariahs DNS) wäre an ihre Kinder weitergegeben worden. Ein anderer Grund für einen Flaschenhals liegt vor, wenn ein großer Teil einer Bevölkerung stirbt (z. B. durch Hungersnot oder Seuchen) und die DNS-Merkmale der Überlebenden dann nicht mehr die Vielfalt der ursprünglichen Gruppe wiedergeben. Ein solcher Flaschenhals kann entstanden sein, als die Spanier nach Amerika kamen und Seuchen einschleppten, die einen großen Teil der Ureinwohner dahinrafften.
Gründereffekt. Diese Art von genetischem Flaschenhals tritt auf, wenn eine kleine Gruppe (sogenannte Gründer) eine größere Gruppe verlassen (so wie die Lehiten und Mulekiten die größere Gruppe der Israeliten verlassen haben). In manchen dieser Fälle enthält die kleinere Gruppe nur einen Bruchteil der genetischen Merkmale der größeren Gruppe (das geschieht häufig, wenn eine kleinere Gruppe von einer größeren isoliert wird). In diesen Fällen unterscheiden sich die DNS-Informationen der kleineren Gruppe ganz erheblich von denen der ursprünglichen Gruppe. In Bezug auf die im Buch Mormon genannten Völker wäre daher anzunehmen, dass DNS-Proben der Lehiten und Mulekiten (wenn wir diese denn hätten) die DNS-Merkmale ihres israelitischen Erbgutes nicht oder nur in ungenauer Form wiedergeben würden.
Gendrift. Mit mtDNS haben wir das Problem der sogenannten „glücklichen Gene”. Die Übertragung von mtDNS folgt einer einzigen Abstammungslinie (von Mutter zu Kind). Das verschleiert die Tatsache, dass viele Gründer-Mütter zahlreiche weitere Nachfahren haben können, deren mtDNS nicht der ihren entspricht. Wenn man zum Beispiel zwei Generationen zurückgeht, also zu den Großeltern, dann gibt es da vier Personen (jeweils zwei Eltern der Eltern), zwei davon sind weiblich (Großmütter auf beiden Seiten). Nur eine dieser Großmütter wird ihre mtDNS an ihr Enkelkind weitergegeben haben, egal ob dieses Kind männlich oder weiblich ist. Die mtDNS der anderen Großmutter ging unweigerlich verloren. Wenn wir 10 Generationen zurückgehen, dann haben wir 1024 Vorfahren (das ist die Anzahl der möglichen Menschen, die zu unserer DNS beigetragen haben je weiter wir zurückgehen, desto größer wird die Anzahl unserer Vorfahren.) Die tatsächliche Zahl der Vorfahren wird etwas geringer sein, weil oftmals Verwandte untereinander geheiratet haben. Die Hälfte davon ist weiblich. Der Enkel in der 10. Generation hat aber nur die mtDNS einer dieser 512 weiblichen Vorfahren geerbt. Je kleiner die Population ist und je mehr Generationen vergehen, desto stärker ist dieser Effekt. Vorsichtig geschätzt können wir davon ausgehen, dass zwischen den heutigen Ureinwohnern Amerikas und Sariah mindestens 70 Generationen liegen.
Zusammenfassung
Soweit wir wissen, hat es noch keine einzige wissenschaftliche DNS-Untersuchung gegeben, deren Ziel es war, die Authentizität des Buch Mormons in Frage zu stellen. Artikel, die sich auf DNS-Untersuchungen berufen, um das Buch Mormon zu widerlegen, basieren auf Studien, die nie darauf ausgelegt waren, die geschichtliche Korrektheit dieses Buches zu überprüfen.
Wir wissen nicht, wie ein „Lehitisches” Genom ausgesehen haben könnte, und wissen daher auch nicht, wonach wir suchen müssen. Es ist wahrscheinlich, dass die DNS des Nahen Ostens aus den Tagen Lehis sich ganz erheblich von der heutigen „israelitischen” DNS unterscheidet.
Bevölkerungsgenetik zeigt, dass die DNS-Signatur einer kleinen Bevölkerungsgruppe verloren gehen kann, wenn sie in einer größeren Population aufgeht.
Derzeitige DNS-Studien widerlegen daher nicht die Auffassung, dass es sich bei dem Buch Mormon um eine authentische Geschichte von alten Völkern Amerikas handelt.