Fehlerhafte Geschichte:
Eine Besprechung des Buches

Mord im Auftrag Gottes:
Eine Reportage über religiösen Fundamentalismus

von Richard E. Turley jun

Aus dem Englischen:
Faulty History: A Review of Under the Banner of Heaven: A Story of Violent Faith

Überblick des Herausgebers

Im Juli 2003 brachte der populäre Autor Jon Krakauer ein Buch heraus, in dem er argumentierte, dass religiöser Glaube im Allgemeinen und der Glaube der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im Besonderen seine Gläubigen oft zu Gewalttätigkeit motiviere. Seit ihrer Gründung 1830 war die Kirche Opfer vieler reißerrischer und sensationslüsterner Berichte, die alle behaupteten, die wirklichen und schmutzigen Tatsachen aus dem Leben der Führer und Mitglieder der Heiligen der Letzten Tage zu offenbaren. Trotz des Anspruchs auf Objektivität und historische Genauigkeit, zeigen solche Publikationen beständig dasselbe Muster: Eine von einer Absicht getriebenes Unterfangen, selektiv auf Gerüchten und Halbwahrheiten beruhend, eingefärbt als historische Wissenschaftlichkeit.

Zum Bedauern für jene, die mehr über die Geschichte der Heiligen der Letzten Tage oder die Beziehung zwischen religiösem Glauben und Gewalttätigkeit wissen wollen, leidet Krakauers: Mord im Auftrag Gottes: Eine Reportage über religiösen Fundamentalismus unter denselben fatalen Mängeln.

Obwohl es mit dem Buch zahlreiche Probleme gibt, die ausreichten, um jegliche Schlussfolgerung über Gewalt und ihre Beziehung zu religiösem Glauben, falls es welche gibt, zu entwerten, sind die wesentlichsten Schwächen in Krakauers Buch folgende:

  • Antireligiöses Vorurteil: Krakauer, ein bekennender Agnostiker, geht an das Thema mit entschieden antireligiösem Vorurteil heran, einem Vorurteil, das der Maßstab dafür gewesen zu sein scheint, zu bestimmen welche „Tatsachen” in Erwägung gezogen werden und wie sie interpretiert werden sollen.
  • Stellt Unwahrheiten als Tatsachen dar: Krakauer stellt Dinge, die einfach nicht so sind, als Tatsachen dar, wie die Ereignisse rund um das Gerichtsverfahren von 1826, in dem Joseph Smith freigesprochen wurde, die Einzigartigkeit der Stadtverfassung von Nauvoo, die Rolle und das Schicksal von Orrin Porter Rockwell im Mordversuch gegen Gouverneur Boggs und die Datierung des Briefes von Brigham Young, der den Süduthanern befahl, sich nicht mit den Auswanderern auf den Mountain Meadows zu beschäftigen.
  • Stellt historisch Unbekanntes als Tatsache dar: Krakauer stellt Ereignisse, für die die Beweise strittig und bestenfalls nicht überzeugend sind, als historische Tatsachen dar, wie eine Beziehung von Joseph Smith mit Marinda Johnson im Jahr 1831 oder für die es beträchtliche Beweise im Sinne einer alternativen Erklärung gibt wie die Ereignisse rund um das Moutain Meadows Massaker.
  • Haupthypothese nicht unterstützt durch die Beweislage: Krakauers gesamtes Argument versagt, weil er nie einen Beweis dafür liefert, dass Religion oder auch nur religiöser Fanatismus mehr Gewalt als Frieden fördert. Die Geschichte der Völkermorde im 20. Jahrhundert unter Führern wie Pol Pot, Stalin, Mao Tse Tung und Hitler widerlegt Kakrauers Hypothese direkt. Es stimmt zwar, dass einige religiöse Menschen gewalttätig sein können, doch scheint das eine unbedeutende Rolle in der alltäglichen Gewalt zu spielen, einer Gewalt, die offensichtlich von Drogen, häuslichen Problemen, Alkoholismus, Unmoral und Gier herrühren.
  • Neigungen zu religiöser Gewalt werden nicht unterstützt: Selbst wenn „Beweise”, die Krakauer liefert, so akzeptiert werden könnten, wie sie präsentiert werden, legt er doch weder einen Beweis, noch eine Statistik oder ein Argument vor, um die Behauptung zu untermauern, dass dies eine Tendenz zur Gewalt innerhalb der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage oder unter ihren Mitgliedern und Führern zeigt, sondern nur ein paar vereinzelte Vorfälle in einer grundlegend friedlichen, gewaltlosen und toleranten Gemeinschaft von Gläubigen.

Vielleicht liegt der Grund für diese Mängel darin, dass Krakauer kein Historiker, sondern ein Romanschriftsteller ist. Vielleicht kennt er die HLT-Kirche, ihre Mitgliedschaft oder ihre Geschichte nicht gut genug, um ein tatsächliches, von Vorurteilen ungetrübtes historisches Bild vorzulegen. In beiden Fällen ist es eine ausgesprochene Schande, dass ein gefeierter Autor historische Lügen und religiös bigotte Informationen zusammenpackt und sie einer arglosen Leserschaft serviert.

Richard Turleys Besprechung

Im oft zitierten Buch: Fehler der Historiker: Zu eine Logik historischen Denkens, verdammt David Hackett Fisher jene, die auf der Basis einer ungenügenden Stichprobe zu einer Verallgemeinerung gelangen:

Es gibt eine Geschichte, vielleicht apokryph, über einen Wissenschaftler, der eine erstaunliche und unwahrscheinliche Verallgemeinerung über das Verhalten von Ratten veröffentlichte. Ein ungläubiger Kollege kam in sein Labor und bat ihn höflich, die Aufzeichnungen der Experimente zu sehen, auf denen die Verallgemeinerung begründet war. „Hier sind sie”; sagte der Wissenschaftler und zog ein Notizbuch aus einem Stapel Papier auf seinem Schreibtisch. Und indem er auf einen Käfig in der Ecke zeigte, fügte er hinzu: „und das ist die Ratte.”[1]

Begierig, seine eigenen Hypothese zu beweisen, benutzt Jon Kakauer, der Autor von Mord im Auftrag Gottes: Eine Reportage über religiösen Fundamentalismus,[2] den abnormalen Mordfall Lafferty von 1984 um „die gewalttätige Vergangenheit des Mormonismus zu betrachten” und die „Schattenseite des erfolgreichsten hausgemachten Glaubens der Vereinigten Staaten” zu untersuchen.[3] Wenn das Buch vielleicht auch leichtgläubige Menschen anspricht, die nach so einem Köder schnappen wie die Forelle nach einem Fliegenhaken, brauchen ernsthafte Leser, die die Heiligen der Letzten Tage und ihre Geschichte verstehen wollen, nicht ihre Zeit damit zu verschwenden.

Eine zugrunde liegende Absicht

Während es vorgeblich auf Morde fokussiert ist, die von Brüdern begangen wurden, die von der Kirche exkommuniziert worden waren, ist Krakauers Buch eigentlich eine Verurteilung von Religion im Allgemeinen. Der agnostische Verfasser schreibt: „Ich weiß nicht, was Gott ist oder was Gott beabsichtigte, als das Universum in Gang gebracht wurde. Ja, ich weiß nicht einmal, ob Gott überhaupt existiert, wenn ich auch zugebe, dass ich mich manchmal beim Beten finde in Zeiten großer Angst oder Verzweiflung oder Erstaunens wenn sich unerwartete Schönheit zeigt.” Er scheint zu glauben, dass Gott in diesem Leben unerkennbar ist. „In Abwesenheit von Überzeugung”, sagt er über sein Scheitern Glauben zu finden, „habe ich mich mit der Tatsache abgefunden, dass Ungewissheit ein unausweichliche Begleiterscheinung des Lebens ist.” Er gibt zu, dass er mit dem Großteil der Menschheit eine Furcht vor dem Tod gemeinsam hat, ein Sehnen danach „zu begreifen, wie wir hierher gelangt sind und warum,” und ein Sehnen „die Liebe unseres Schöpfer zu kennen.” Doch er glaubt, „die meisten von uns werden ohne Zweifel diesen Schmerz spüren, solange wir am Leben sind.” Das Ergebnis seines (Un)glaubenssystems ist ein Thema, das sein Buch durchdringt: „Die wesentliche Unerforschlichkeit der Existenz zu akzeptieren … ist gewiss ihrem Gegenteil vorzuziehen: Vor der Tyrannei unversöhnlichen Glaubens zu kapitulieren.”, das heißt, vor der Religion.[4]

„Es gibt eine dunkle Seite religiöser Hingabe, die zu oft ignoriert oder geleugnet wird,” postuliert er in der Einleitung. „Als ein Mittel, um Leute zu motivieren, grausam und unmenschlich zu sein – als ein Mittel Menschen zu motivieren böse zu sein, um das Vokabular der Frommen zu entlehnen – dürfte es wirklich nichts Wirksameres geben als Religion.” Indem er sich auf den „islamischen Fundamentalismus” bezieht, der in die Tötungen des 11. September 2001 mündete, sagt er weiter: „Menschen begehen abscheuliche Taten im Namen Gottes bereits seit die Menschheit begann, an Götter zu glauben und Extremisten gibt es in allen Religionen.” Er findet, dass in der „Geschichte kein Mangel an Muslimen, Christen, Juden, Sikhs und sogar Buddhisten herrscht, die durch heilige Schriften motiviert wurden, Unschuldige hinzuschlachten. In Glauben begründete Gewalt war vorhanden lange vor Osama bin Laden und wird lange nach seinem Abtreten vorhanden sein.”[5]

Er räumt ein, dass „in jedem menschlichen Unternehmen wird ein Teil seiner Praktizierenden motiviert sein, diese Aktivität mit solch konzentrierter Hingabe und so unvermischter Leidenschaft zu verfolgen, dass sie sie vollständig verzehrt. Man muss nicht weiter blicken als auf Personen, die sich getrieben fühlen Konzertpianisten zu werden oder sagen, wir den Mt. Everest zu besteigen.” Er liefert keine wissenschaftliche Methode um Extremismus zu messen, doch er versichert, dass er „besonders unter jenen vorherrschend zu sein scheint, die durch Temperament oder Erziehung zu religiösem Streben neigen.”

Diese zungenfertige Annahme führt zur Hypothese für sein Buch:

Glauben ist die wahre Antithese von Vernunft, Unüberlegtheit ein wesentlicher Bestandteil spiritueller Hingabe. Und wenn religiöser Fanatismus jede Folgerung ablöst, kann man auf nichts mehr setzen. Alles kann geschehen. Absolut alles. Hausverstand passt nicht zur Stimme Gottes – wie die Taten von Dan Lafferty lebhaft bezeugen. [6]

Der Fall Lafferty, das vorgebliche Thema des Buches, wird zu einer bloßen Illustration dieser Theorie.

Eine unrichtige „Geschichte”

Um seinen Fall zu unterstützen, dass die „Wurzeln ihres [der Lafferty Brüder] Verbrechens tief in der Geschichte einer von Millionen praktizierten amerikanischen Religion liegen,” [7] legt Krakauer eine entschieden einseitige und negative Sichtweise mormonischer Geschichte vor.

In Bezug auf Joseph Smiths wohlbekanntes Gerichtsverfahren von 1826 zum Beispiel gibt Krakauer an „ein unzufriedener Kunde habe Joseph Smith als Betrüger angezeigt.” [8]Diese Annahme zeigt Krakauers Mangel an Vertrautheit mit grundlegenden Aspekten des fraglichen Gerichtsverfahrens ebenso wie seine Neigung, Beweise negativ auszulegen. In Wahrheit ergab sich das Verfahren nicht von einem „unzufriedenen Kunden” sondern von Strafverfolgern, die Joseph als ordnungswidrige Person wegen angeblichen Betrugs seines Arbeitgebers Josiah Stowell vor Gericht gezerrt hatten. Wie ein heutiger Rechtsgelehrter, der den Fall sorgfältig studiert hat, anmerkte, hat jedoch Stowell „leidenschaftlich verneint, dass er getäuscht oder betrogen worden wäre.” [9] Als Ergebnis wurde Joseph für unschuldig befunden und entlassen. [10]

Krakauer dehnt auch die Wahrheit, wenn er von heutigen Kirchenereignissen schreibt. Er besuchte das Hill Cumorah Pageant in Palmyra, New York und stellte dar, dass es „die Energie eines Phish-Konzerts habe, aber ohne die Trunkenheit, ausgefallene Haartrachten … oder Wolken von Mariujanarauch.” [11] Ohne eine Quelle zu zitieren, behauptet er übertreibend, dass „früher oder später die meisten Heiligen der Letzten Tage eine Pilgerreise dorthin unternehmen.” [12] Wenn das Festspiel auch populär ist, haben es doch die meisten Heiligen der Letzten Tage nie besucht und werden es meist auch nie besuchen.

Der Autor lässt einiges Verständnis für Lehren und Verwaltungsstruktur der Kirche erkennen, doch macht er Schnitzer, die seine allgemein schwache Beherrschung der Thematik anzeigen. Zum Beispiel bezeichnet er Mark E. Petersen, ein Mitglied des Rates der Zwölf Apostel als „HLT-Präsident.” [13], ein offensichtlicher Fehler. Krakauer zeigt seine Unkenntnis von Bibel und Buch Mormon, wenn er Laban als „betrügerischen, stinkreichen Schafmagnaten bezeichnet, der in den Seiten sowohl des Buches Mormon als auch des Alten Testaments auftaucht.” [14] Der Laban des Alten Testaments, der der Onkel und Schwiegervater des Patriarchen Jakob und Bruder Rebekkas ist, lebte viele Jahrhunderte vor dem Laban des Buches Mormon.

Indem er eine uninformierte Behauptung übernimmt, schreibt Krakauer dass Nauvoo, Hauptquartier der Kirche von 1839 bis 1846 „Souveränitätsrechte und Mächte besessen habe, die nicht nur in Illinois sondern im ganzen Land einzigartig waren” als Ergebnis eines „höchst ungewöhnlichen Statuts.” [15] Seine Auslegung ist nicht durch heutige Wissenschaft hinterlegt. Glen M. Leonards Nauvoo: A Place of Peace, a People of Promise [Nauvoo: Ein Ort des Friedens, ein Volk der Verheißung] merkt richtig an:

Während der vorhergehenden zwei Jahre hat die Gesetzgebung von Illinois der Bleischürfstadt Galena an der Nordgrenze von Illinois, der neuen Staatshauptstadt Springfield und Quincy, Nauvoos mildtätigem Nachbarn in Adams County, städtische Statuten verliehen. Davor waren nur Chicago und Alton Stadtstatuten ausgestellt worden, beide 1837. Jede der Statuten in dieser Abfolge baute auf den vorhergehenden auf und schuf damit ein Muster der Vertrautheit für die Gesetzgeber von Illinois. Das Planungskomitee in Quincy hatte Bezug genommen auf die Statuten, die für Chicago und Alton ausgestellt worden waren und für eine in St. Louis, Missouri. Nauvoos Antrag fügte Vorkehrungen zusammen, die diejenigen nachahmten, die bereits in den drei kürzlichen Lizenzen von Galena, Quincy und Springfield genehmigt worden waren. Eine längere Abhandlung über die gesetzgeberische Vollmacht des Stadtrates von Nauvoo war wörtlich aus dem Statut von Springfield kopiert worden, eine übliche und rechtmäßige Vorgehensweise. [16]

Krakauer gibt zwar zu, dass Joseph Smith „Die Verfassung der Vereinigten Staaten ehrte”, sagt aber, er habe „sowohl in Wort als auch in Tat … wiederholt gezeigt, dass er selbst generell wenig Respekt vor den religiösen Ansichten von Nichtmormonen hatte und dass es unwahrscheinlich war, dass er die verfassungsmäßigen Rechte anderer Glaubensgemeinschaften respektierte.” [17] Ernsthafte Erforscher von Josephs Smith verstehen jedoch, dass er allgemein hohe Wertschätzung für die Rechte anderer hatte. Als er zu seinen Gefolgsleuten bei einem Sabbatgottesdienst in der Nähe des unvollendeten Nauvoo Tempels am 9. Juli 1843 sprach, erklärte Joseph:

Wenn gezeigt worden ist, dass ich willens bin für einen Mormonen zu sterben, bin ich so kühn vor dem Himmel zu erklären, dass ich genau so bereit bin, für einen Presbyterianer oder einen Baptisten oder für irgend eine andere Konfession zu sterben. Eine Liebe für die Freiheit, für bürgerliche und religiöse Freiheit, die meine Seele inspiriert. [18]

Krakauer akzeptiert auch die Sichtweise, dass Orrin Porter Rockwell versucht habe, den früheren Gouverneur von Missouri, Lilburn W. Boggs zu ermorden, nachdem Joseph Smith angeblich prophezeite, Boggs werde sterben. Dann schreibt er, dass „Rockwell keine Schwierigkeit hatte einen Arrest zu umgehen. Weder er noch irgend ein anderer Heiliger wurde wegen der Tat vor Gericht gebracht.” [19] Harold Schindler jedoch schließt in seiner von den Kritikern zugestimmten Biographie von Rockwell, dass es „eine Sache für Mutmaßung ist,” ob Rockwell auf Boggs schoss. „Falls Rockwell den tödlichen Schuss abfeuerte, würde es erscheinen, dass die Entscheidung von ihm selbst kam.” [20]

Rockwell wurde schließlich wegen einer „fadenscheinigen Zeugenaussage” verhaftet, monatelang eingesperrt und mit etwas verpflegt, das man nur als „Saufraß” bezeichnen konnte.[21] Wiederholt wurde er schikaniert und nahezu gelyncht. „Als die Wochen vergingen, schwand der einst bärenstarke Mormone, dahin bis er wenig mehr als ein Gespenst war. Sein Haar wuchs lang und zottig, verseucht mit Parasiten von seiner feuchten, grabartigen Zelle, sein Bart wurde von Schweiß und Schmutz bedeckt, seine Augen sanken in die dunklen Höhlen seines Gesichts.” Nach Monaten des Leidens wurde er endlich vor einen Richter gebracht, der ihn darüber informierte, dass „die Grand Jury es abgelehnt habe, eine Anklage gegen ihn zu erheben” wegen der ursprünglichen Beschuldigung, doch habe sie beschlossen, ihn dafür anzuklagen, dass er zu fliehen versucht habe. „Rockwell wurde in seine Zelle zurückgebracht, um seine absurde Zwickmühle zu überdenken: Er war frei von der einen Anschuldigung nur um dafür angeklagt zu werden, dass er aus dem Gefängnis fliehen wollte, wo das Gesetz zugab, dass er überhaupt nicht eingesperrt hätte sein sollen.” Schließlich befand ihn ein Schwurgericht des Fluchtversuchs schuldig und verurteilten ihn zu fünf Minuten Gefängnis. Rasch wurde befohlen, ihn freizulassen und er war „zum erstenmal seit neun Monaten ein freier Mann.”[22]

In Bezug auf die weggelaufenen Bundesbeamten des frühen Utah, gibt Krakauer zu, dass „viele … korrupt bis in den Kern waren und nach Utah gekommen waren mit der Absicht, sich durch Bestechung zu bereichern.” Eine Behauptung die, wenn auch hart, zumindest einige Grundlage in den Tatsachen hat. Krakauer sagt weiter, dass die meisten dieser Beamten Utah verließen aus Angst, dass, „wenn sie bleiben, sie einen unangekündigten Besuch von Porter Rockwell bekommen würden und tot auftauchen würden – was tatsächlich einer nicht dokumentierten Anzahl von Bundesagenten passierte.” [23] Er erklärt nicht, woher er von diesen Todesfällen weiß oder welche glaubwürdigen Beweise er dafür hat, dass sie geschahen, wenn sie, wie er zugibt, nicht dokumentiert sind.

Eine anzügliche „Geschichte”

Indem er wiederum eine schlüpfrige Geschichte für bare Münze nimmt – eine die in Fawn Brodies Biographie von Joseph Smith, einer Hauptquelle für sein Buch, erscheint – schreibt Krakauer:

Im Sommer 1831 nahm Familie Johnson Joseph und Emma Smith als Untermieter in ihr Haus auf und kurz darauf zog der Prophet, wie man sagt, die junge Marinda ins Bett. Leider blieb die Liaison anscheinend nicht unbemerkt und eine Bande von erzürnten Ohioern – darunter eine Anzahl Mormonen – beschloss, Joseph Smith zu kastrieren, so dass er in Zukunft abgeneigt sein würde solche lasterhaften Taten zu begehen.[24]

Obwohl Marinda wahrscheinlich später eine Mehrehefrau von Joseph Smith wurde, legen Brodie und Krakauer nur einen Teil der Beweise vor – den Teil der eine Lust am Sensationellen befriedigt.

Betrachten Sie die ausgewogenere Analyse in Todd Comptons In Sacred Loneliness: The Plural Wies of Joseph Smith:

Die Motivation für dieses Mobbing wurde diskutiert. Clark Braden, ein später, feindseliger Zeuge zweiter Hand, behauptete in einer polemischen öffentlichen Debatte, dass Marindas Bruder Eli einen Mob gegen Smith geführt habe, weil der Prophet zu intim mit Marinda gewesen wäre. Diese Tradition lässt vermuten, dass Smith Marinda vielleicht schon zu dieser frühen Zeit geheiratet habe und einige Umstände unterstützen eine solche Möglichkeit. Der Kastrationsversuch kann als Beweis dafür genommen werden, dass der Pöbel das Gefühl hatte, Joseph hätte eine sexuelle Ungehörigkeit begangen. Da der Versuch von Luke Johnson berichtet wird, gibt es keinen guten Grund, sie zu bezweifeln. Auch hatten sie die Operation vorher geplant, da sie einen Doktor mitbrachten um sie auszuführen. Die ersten Offenbarungen über Polygamie waren 1831 erhalten worden, nach der Datierung des Historikers Danel Bachmann. Auch neigte Joseph dazu, Frauen zu heiraten, die in seinem Haus gewohnt hatten oder bei denen er gewohnt hatte.

Viele andere Faktoren sprechen jedoch gegen diese Theorie. Erstens hatte Marinda keinen Brude Namens Eli, was zu der Annahme führt, dass Brandons Anschuldigung, spät wie sie ist, entstellt und unzuverlässig ist. Zusätzlich geben zwei feindselige Berichte von Hayden und S.F. Whitney einen völlig anderen Grund für das Mobben an mit einem völlig anderen Anführer, Simonds Ryder, einen Exmormonen, auch wenn die Johnson-Brüder immer noch Teilnehmer sind. In diesen Berichten ist der Grund für die Gewalttätigkeit wirtschaftlich: Die Johnson-Jungs waren im Pöbel wegen der „scheußlichen Tatsache, dass eine Verschwörung im Gange war, ihnen ihren Besitz wegzunehmen und ihn unter die Kontrolle von Smith zu geben.” Die Kastration dürfte in diesem Szenario nur eine Drohung gewesen sein mit dem Ziel, Smith einzuschüchtern und ihn zu veranlassen, Hiram, [wo die Johnsons lebten] zu verlassen.

Nachdem sie das Ereignis beschrieb, schrieb Marinda nur: „Hier habe ich das Gefühl, mein Zeugnis zu geben, dass während des ganzen Jahres während Joseph ein Mitbewohner in meines Vaters Haus war, ich in seinem täglichen Leben oder in seinen Gesprächen niemals irgend etwas sah, das mich hätte an seiner göttlichen Mission zweifeln lassen.” Es ist zwar nicht unmöglich, dass Marinda 1831 Smiths erste Mehrfachehefrau wurde, doch ist der Beweis für eine solche Heirat, der hauptsächlich auf dem späten, unzuverlässigen Braden ruht, nicht überzeugend. Wenn nicht glaubwürdigere Beweise gefunden werden, ist es besser unter der Annahme fortzufahren, dass Joseph und Marinda 1931 nicht heriateten oder eine Beziehung hatten. [25]

Eine einseitige „Geschichte”

Da das Mountain Meadows Massaker so gut zur These Krakauers passt, räumt er ihm großzügig Platz ein. Auch wenn er es wiederum tut, ohne selbst die Tatsachen kritisch zu untersuchen. Zum Beispiel schluckt er die trendige Sichtweise, dass das Treffen Brigham Youngs mit indianischen Führern am 1. September 1857 einen Todesbefehl für die Fancher-Gesellschaft dargestellt hätte, da

Brigham Young den Indianern ausdrücklich all das Auswanderervieh auf dem Old Spanish Trail „gegeben” hatte — d.h. die Preisherde Fanchers, die die Paiute gierig angestarrt hatten, als sie genau eine Woche vorher in der Nähe der Auswanderer gelagert hatten. Die Botschaft des Propheten an die indianischen Führer war klar genug: Er wollte, dass sie den Fancher Wagenzug angriffen. Am Morgen nach dem Treffen verließen die Indianer die Stadt der Heiligen beim ersten Morgenlicht und und begannen hart nach Südutah zu reiten. [26]

Wie andere Schreiber, die diese Theorie glauben wollen, übersieht er wesentliche Beweise. Dimick Huntingtons Bericht seiner Wechselbeziehung mit den Indianern (der Kern dieses Arguments) deutet darauf hin, dass jemand – vielleicht Brigham Young oder vielleicht Huntington selbst – den Indianern das Vieh auf der Straße nach Süden gaben. Doch nichts im historischen Bericht spezifiziert diese Richtung auf die Fancher-Gesellschaft. Andere Beweise zeigen, dass den Indianern im Norden auch das Vieh auf der Straße nach Norden gegeben wurde. Mit anderen Worten, dieser sogenannte „rauchende Colt”, der der Dreh- und Angelpunkt kürzlich mit großem Tamtam angekündigter Veröffentlichungen über das Massaker beläuft sich auf wenig mehr als einen verallgemeinerten Ausdruck der Kriegsstrategie der Heiligen zu der Zeit, dass sie den Indianern erlaubten, Vieh zu nehmen als Lohn für ihre Unterstützung. Das ist weit davon entfernt, das Massaker eines Zuges von Männern, Frauen und Kindern zu befehlen. Zudem lassen wesentliche Beweise annehmen, dass die Indianer, die an dem berühmten Treffen teilnahmen, sich gar nicht am Massaker beteiligten.

Wie andere neuerliche Schreiber muss sich Krakauer irgendwie der Tatsache stellen, dass Brigham Young, als er von einem möglichen Angriff auf den Zug erfuhr, einen Brief schickte, in dem er die Süduthaner anwies, sich nicht mit den Auswanderern zu befassen. Der Brief ist eine klare Aussage, wenn auch manche Schreiber, bestrebt einen Indizienfall gegen Brigham Young zu beweisen, versuchen, dass nein ja bedeutet, indem sie annehmen, dass der Befehl, den Wagenzug nicht anzugreifen in Wahrheit genau das Gegenteil davon war. Um den Brief noch weiter zu untergraben, stellt Krakauer fest:

Der wirkliche Wortlaut von Brighams Brief bleibt in einigem Zweifel, da das Original verschwunden ist (zusammen mit fast jedem offiziellen Dokument, das sich auf das Mountain Meadows Massaker bezog). Der oben zitierte Auszug ist aus einem angeblichen Entwurf des Briefes, der erst 1884 auftauchte, als ein HLT-Funktionär in den Seiten eines Kirchenbriefbuchs auf ihn stieß. [27]

Der Brief wurde zwar wirklich 1884 zitiert, doch ist er damals nicht erstmalig aufgetaucht und sein „wirklicher Wortlaut” bleibt nicht „in einigem Zweifel.” Die meiste Korrespondenz von Brigham Young wurde unmittelbar nach ihrer Erstellung und vor dem Versand kopiert. Die Kopien – entsprechend heutigen Fotokopien – wurden gemacht, indem die originalen mit Tinte geschriebene Briefe zwischen den angefeuchteten Seiten eines gebundenen Buches von Florpapier gepresst wurden. Die Feuchtigkeit ließ frische Tinte von den Originalen in das Florpapier eindringen und schuf so Spiegelbilder der Briefe. Ein perfektes Spiegelbild von Youngs berühmtem Brief ist genau dort, wo es sein sollte, in Brighams Briefpressenkopienbuch von 1857. Es ist eine zeitgenössische Kopie und stand der Strafverfolgung zur Verfügung im Verfahren, das zur Verurteilung und nachfolgenden Hinrichtung von John D. Lee in den 70er Jahren des 19. Jahrhundert führte und dort auch benutzt wurde.

Zu einem neueren Thema bezieht sich Krakauer auf Mark Hofmanns berühmte Fälschungen der 80er Jahre des 20. Jahrhundert und behauptet, dass „mehr als 400 dieser gefälschten Artefakte von der HLT-Kirche gekauft wurden (die glaubte, sie wären authentisch) und dann in einem Gewölbe wegschloss, um sie aus dem Auge der Öffentlichkeit zu halten.” [28] Das ist eine grobe Übertreibung. In Wahrheit waren die meisten von Hofmann erworbenen Dokumente unbedeutende Rechts- oder Regierungsdokumente. Obwohl ihnen wegen ihrer Unwichtigkeit eine niedrige Katalogisierungspriorität zugewiesen wurde, wurden sie nicht „in einem Gewölbe versteckt” in absichtlichem Bemühen „sie aus der öffentlichen Aufmerksamkeit herauszuhalten.” [29]

Schlussfolgerung

Obwohl noch weitere Beispiele gegeben werden könnten, genügen diese um zu zeigen, dass Krakauer der mormonischen Geschichte Gewalt antut um „die Geschichte eines gewalttätigen Glaubens” zu erzählen. Die überwiegende Mehrheit Heiliger der Letzten Tage im 19. Jahrhundert waren friedliebende Leute, die den Wunsch hatten, ihre Religion in einem Geist der Gewaltfreiheit zu praktizieren und „allen Menschen denselben Vorzug zukommen zu lassen, mögen sie verehren wie, wo oder was sie wollen.” [30]

Anmerkungen

1. David Hackett Fischer, Historian’s Fallacies: Toward a Logic of Historical Thought (New York, Harper and Row, 1970), 109

2. Jon Krakauer, Under the Banner of Heaven: A Story of Violent Faith (New York: Doubleday, 2003), Deutsch: Mord im Auftrag Gottes: Eine Reportage über religiösen Fundamentalismus (Piper, 2003)

3. Krakauer, Under the Banner of Heaven, Vorabkopie, Umschlag hinten[die Krakauer-Zitate in dieser Rezension sind alle direkt aus dem englischen Original übersetzt und nicht der deutschen Übersetzung entnommen]

4. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 287

5. Ibid, xxii

6. Ibid, xxiii

7. Krakauer, Under the Banner of Heaven, Vorabkopie, Umschlag vorne
8. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 39

9. Gordon A. Madsen, „Joseph Smith’s 1826 Trial: The Legal Setting,” BYU Studies 30 (Frühjahr 1990), 105
10. Ibid

11. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 47

12. Ibid. 44

13. Ibid., 53

14. Ibid., 132

15. Ibid., 80
16. Glen M. Leonard, Nauvoo: A Place of Peace, a People of Promise (Salt Lake City: Deseret Book Company und Brigham Young University Press, 2002) 101

17. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 81
18. The Works of Joseph Smith, herausgegeben von Andrew F. Ehat und Lyndon W: Cook (Provo, Utah: religious Studies Center, Brigham Young University, 1980) 229
19. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 82

20. Harold Schindler, Orrin Porter Rockwell: Man of God,Son of Thunder (Salt Lake City: University of Utah Press, 1983) 72-73

21. Ibid., 75-90

22. Ibid., 90-99

23. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 168

24. Ibid., 90
25. Todd Compton, In Sacred Loneliness: The Plural Wives of Joseph Smith (Salt Lake City: Signature Books, 2001), 231-232

26. Krakauer, Under the Banner of Heaven, 179

27. Ibid., 182

28. Ibid., xxi

29. See Richard E. Turley, Jr., Victims: The LDS Church and the Mark Hofmann Case (Urbana and Chicago, Illinois: University of Illinois Press)
30. Die Glaubensartikel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Artikel 11, erstmals veröffentlicht 1842

Über den Autor

Richard E. Turley ist der geschäftsführende Direktor der Abteilung für Familien- und Kirchengeschichte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage

Über den Herausgeber

Paul McNabb ist ein internationaler Sachverständiger und Dozent für Computersicherheit und ist ein ehrenamtlicher Herausgeber für FAIR

 

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Last Updated November 07, 2009
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